NZZ Folio: Hype oder Revolution?

Elektroautos gelten dem einen als Verheissung, anderen als Bedrohung. Wie weit sind wir überhaupt? Und was steht auf dem Spiel? Rainer Klose ist mit dem TWIKE über den Gotthard gefahren.

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Sondermüll, sagt mein Nachbar. «Das ist doch alles Sondermüll, was in diesen riesigen Batterien steckt. Wo sollen wir denn später mal hin mit dem Zeug? Das ist doch Wahnsinn!» Mein Nachbar arbeitet bei einem grossen Medizintechnikkonzern, seit einigen Jahren pflegt und bewegt er stolz einen Porsche Boxster. Elektroautos sind für ihn bloss eine Schnapsidee lustfeindlicher Ökofreaks.

Gleichzeitig werden auf der Website der deutschsprachigen Tesla-Fans Lobeshymnen auf das Elektroauto angestimmt. Schon 2011 ging tff-forum.de online. Seit Februar 2019 wird der Tesla Model 3 tatsächlich ausgeliefert. «Bin heute das erste Mal Elektroauto gefahren», schreibt einer der Käufer. «Die (nicht vorhandene) Geräuschkulisse und die Beschleunigung sind der pure Wahnsinn. Das sage ich, obwohl ich von einem A45 AMG komme! Ich werde heute glücklich schlafen.»

Rückblick auf den Genfer Autosalon Anfang März 2019: Wie schon in den letzten Jahren sind in der Glitzerwelt Benzin-, Diesel- und Elektroautos nebeneinander ausgestellt. Doch etwas ist anders. Die Elektroautos sind keine Concept-Cars mehr mit Phantasie-Carrosserien, fiktiven Beschleunigungswerten und sagenhaften Reichweiten. Sie sind real, man darf sich hineinsetzen, und bis Ende 2019 werden sie alle beim Händler stehen: Audi e-tron 55 quattro, Mercedes EQC, Peugeot e-208, Nissan Leaf und etwas später der Volvo-Ableger Polestar2. Und noch etwas fällt auf: Auch der Saft für die Elektroautos ist da. Die Hersteller von Hochleistungsladestationen präsentieren sich an teuren Messeständen. Am Salon 2018 war noch keiner von denen zu sehen. Selbst der TCS ist da und stellt einen gelben Pannendienst-Spezialanhänger vor, mit dem liegengebliebene Elektroautos mit Notstrom betankt werden können.

Ein Blick auf die Immatrikulationszahlen für Neuwagen im März 2019 bestätigt den Befund, dass sich irgendetwas gerade recht schnell verschiebt: Tesla verkaufte in der Schweiz in diesem einen Monat 1243 Autos, fast so viele wie im ganzen Jahr 2018.

Trotzdem ist der Anteil an Elektroautos klein. Im März 2019 wurden mehr als 27.000 Benzin- und Dieselautos in der Schweiz verkauft und eingelöst.

Der Hersteller des Tesla Model 3 verspricht 500 Kilometer Reichweite, eine Spitzengeschwindigkeit von 233 km/h und eine Beschleunigung wie ein Ferrari. Wer möchte, kann den Wagen autonom über Autobahnen und Landstrassen fahren lassen; das Auto verlangt dabei, dass eine Hand des Fahrers locker auf dem Lenkrad ruht. Während das Auto den Verkehr mit sechs Kameras überwacht und die Spur hält, darf man sich entspannt der Musikauswahl widmen: die Lieblingssongs kommen online gestreamt per Spotify, in ganz Europa. Dazu gibt es acht Jahre Garantie auf Batterien und  auf Elektromotoren bis zu 192.000 Kilometer. Und das alles ab 48.200 Franken, weniger als ein BMW 3er als Benziner kostet.

Noch vor zehn Jahren schien das unvorstellbar weit weg. Auch 2009 hatten auf den Automessen in Genf und Frankfurt etliche Hersteller Elektromobile für die Zukunft angekündigt, doch real gab es nur handgefertigte teure Einzelstücke. Wie eine Alpenüberquerung mit Batteriestrom sich wohl anfühlen würde, fragte ich meinen Chefredaktor bei der «Automobil-Revue». Wir planten eine Testfahrt über den Gotthard, in einem gemieteten TWIKE.

Mit dem TWIKE über den Gotthard

Das TWIKE war Mitte der 1980er Jahre von Studenten der ETH Zürich als Velo mit Vollverkleidung konzipiert worden und hatte auf der Weltausstellung 1986 in Vancouver einen Preis gewonnen. 1996 wurde das Fahrzeug für die Strasse zugelassen. Um dem in die Pedale tretenden TWIKE-Lenker das Leben zu erleichtern, wurden im Lauf der Jahre immer bessere Batterien eingebaut: erst Nickel-Cadmium-Batterien, dann Nickel-Metallhydrid. Der Durchbruch kam 2008 mit dem Einsatz von Lithiumionen-Akkus, die keinen Kapazitätsverlust und eine längere Lebenserwartung hatten. Aus dem Öko-Tretmobil war ein alpentaugliches Verkehrsmittel geworden, brauchbar auch für untrainierte, bequeme Menschen wie mich.

Das TWIKE für meine Gotthard-Testfahrt war 2002 gebaut und 2008 mit der neuesten Antriebstechnik nachgerüstet worden: Lithiumionen-Akkus mit 5,5 kWh Kapazität – das ist ein Siebtel dessen, was ein Kleinwagen wie der Renault Zoe in sich trägt. Die Höchstgeschwindigkeit von 85 km/h reichte für Schweizer Landstrassen, die Reichweite von 100 Kilometern galt es auszuprobieren. Als Neufahrzeug hätte das TWIKE damals 44.000 Franken gekostet – ein Luxusartikel für Strom-Enthusiasten.

Die Testfahrt begann am 21.September 2009 um 11:00 Uhr in Zürich und sollte ein paar Stunden später in Bellinzona enden. Eine Reichweitenanzeige gab es im TWIKE nicht, stattdessen sei die Batteriespannung zu beobachten, sagte mir der Vermieter. 400 V heisse randvoll, ab 330 V komme die Notreserve, 300 V bedeute: sofort nachladen, sonst nehme die teure Batterie Schaden. Ich fuhr mit 400 V in Zürich los und tankte jeweils für 15 Minuten in Ibach SZ an der Steckdose in der Abstellkammer einer Migrol-Tankstelle und in Altdorf an der Ladestation des Elektrizitätsversorgers EWA. Niemand war damals auf Stromreisende eingestellt, es gab nur 220 V Netzstrom an Haushaltsteckdosen.

Mit 390 V griff ich die Gotthard-Nordrampe an und strandete mit 335 V in Andermatt. Nach 35 Lademinuten reichte der Strom bis zum Gotthardhospiz; tapfer schnurrte das TWIKE mit 45 km/h den Berg hoch. Doch die Abfahrt über die Tremola reichte nicht, um den Akku aufzuladen. Also noch mal 15 Minuten zwischentanken in Biasca, dann eine sparsame Schleichfahrt mit 50 km/h bis Bellinzona. Am Ortseingang warnte dennoch die Akku-Anzeige: nur noch 316 V. Also noch einmal nachladen – an einem Geldautomaten. An Bancomaten, fand ich auf dieser Fahrt heraus, gab es Tag und Nacht zugängliche 220-V-Steckdosen. Um 22 Uhr fiel ich ins Hotelbett, nach elf Stunden Reise.

Trotz meiner zu langen Fahrt brachte das Jahr 2009 den Wendepunkt für Autos, die mit Strom fahren: Im Juni startete in Japan die Serienproduktion des Mitsubishi iMiEV, im August stellte Nissan die Produktionsversion des Nissan Leaf vor – beide kamen im Dezember 2010 in Europa auf den Markt. Es waren die ersten alltagstauglichen Elektroautos, ausgerüstet mit Airbags und vorbereitet für Schnellladestecker nach dem japanischen Chademo-Standard. Doch Ladestationen dazu gab es in Europa noch nicht.

Und noch etwas geschah 2009: Das Elektroauto verliess die Nische der Ökomobile und begann seinen Weg ins automobile Lifestylesegment. Ein findiger US-Unternehmer namens Elon Musk war der erste, der dem Elektroauto den Ruf des frugalen Öko­mobils nehmen wollte. Er hatte 2006 den Tesla Road­ster vorgestellt, der ab Mai 2009 auch in Europa ausgeliefert wurde. Der hübsche, offene Sportwagen auf Basis einer Lotus Elise war das erste Serien-Elektroauto der Welt mit einer Reichweite von über 350 Kilometern und 201 km/h Höchstgeschwindigkeit. Nur knapp 2.500 Stück wurden gebaut, die meisten davon blieben in den USA. Mit einem Preis von weit über 100.000 Franken war der Roadster auch nicht für jedermann gedacht. Er war das Aushängeschild einer Firma, die Grösseres vorhatte und mit dem Sportwagen die Investoren beeindrucken wollte.

Der Jungmilliardär Elon Musk, der sein Geld mit dem Online-Bezahlsystem Paypal verdient hatte, wollte die Autoindustrie aufrütteln, für die das Elektroauto bis dahin kein grosses Thema war. Musk war 2002 mit seinem Geld in die frisch gegründete Firma Tesla Motors eingestiegen. Aus dem winzigen Start-up-Unternehmen sollte der weltweit führende Massenproduzent von Elektroautos werden. 2009 wollte das aber noch niemand glauben.

Hat die Autoindustrie gebremst?

Erst heute, zehn Jahre später, werden Elektroautos ernst genommen. Warum hat das so lange gedauert? Weil die Autoindustrie auf der Bremse stand? Tatsächlich waren Elektroautos lange Zeit ein hochriskantes und teures Geschäft für herkömmliche Autohersteller. General Motors hatte in den 1990er Jahren als Reaktion auf strenge kalifornische Umweltgesetze das Elektroauto EV1 konstruiert und von 1996 bis 1999 knapp 1.000 Fahrzeuge an Kunden in Kalifornien vermietet. Als die Umweltvorschriften nach Gerichtsprozessen gelockert wurden, zog GM die äusserst verlustträchtigen Mietwagen wieder ein und verschrottete sie. Der EV1 war nach heutigen Massstäben ohnehin kein Auto für den Massenmarkt: mit seinen Bleibatterien fuhr er knapp 130 km/h Spitze und hatte eine Reichweite von 120 Kilometern. 2011 wagte sich BMW auf das Feld der Elektroautos und stellte den Prototyp des BMW i3 vor, der Ende 2013 auf den Markt kam. Die erste Generation des kompakten Stadtwagens hatte ein sportliches Fahrverhalten und eine gute Beschleunigung, jedoch deutlich weniger als 200 Kilometer Reichweite. Die Verkaufszahlen blieben gering, die Millioneninvestition in teure Leichtbau­carrosserien aus Carbonfasern hatte sich für BMW nicht gelohnt.

Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, hat die Hürden, die das Elektroauto nehmen muss, in eine knackige Formel gepackt: «das RIP-Problem». Es steht für Reichweite – Infrastruktur – Preis. Solange das RIP-Problem nicht gelöst sei, sagte Bratzel noch Anfang 2019, «ruht die Elektromobilität in Frieden».

Zwei Jahre nachdem ich mit dem TWIKE den Gotthard bezwungen hatte, stieg ich wieder in ein Elektroauto, einen Peugeot iOn. Es war an einem kühlen Tag im Februar 2011 und der Peugeot ein richtiges Auto mit vier Türen, vier Sitzen, sechs Airbags – und sogar einer Heizung. Die Antriebsbatterie war dreimal grösser als die des TWIKE, die Reichweite gab der Hersteller mit 130 Kilometern an. Diesmal wollte ich von Burgdorf bei Bern zum Autosalon nach Genf, 220 km, mit einem Zwischenhalt nach 130 km am Lac de Joux.

Das RIP-Problem erfahren

Die winterliche Fahrt wurde zum Desaster: Die Heizung blieb zur Schonung der Batterie aus, doch nach 96 Kilometern gemächlicher Fahrt war sie bereits leer. Wir – mein Fotograf und ich – luden 90 lange Minuten in Estavayer-le-Lac an der Aussensteckdose einer Migros-Filiale, dann noch mal 45 Minuten neben der Waschanlage einer Tankstelle in Yverdon. Schliesslich strandeten wir 23 km später kläglich im mittelalterlichen Städtchen Romainmôtier. Noch 15 Kilometer und 400 Höhenmeter fehlten bis zum Lac de Joux. Da keine Steckdose zu finden war, musste ein Taxi das kleine Elektroauto bis zum Zwischenziel schleppen. Im Hotel liess sich das Auto über Nacht aufladen, und am nächsten Tag schaffte der Peugeot iOn die 75 km bis Genf in einem Rutsch. Sogar die Heizung durfte laufen – draussen war es minus 10 Grad kalt.

Die Testfahrt zeigte das RIP-Problem anschaulich: Die Reichweite lag unter der Distanz zum Zwischenhalt. Die Infrastruktur fehlte – das Auto hatte zwar schon eine Buchse nach dem japanischen Schnellladestandard Chademo, doch es gab noch keine Ladestationen, wir mussten mit 220-V-Haushaltsstrom laden, was ewig dauerte. Und der Preis war hoch: Der Kleinwagen kostete 46.000 Franken, rund viermal mehr als ein vergleichbares Auto mit Benzinantrieb. Wir wollen dem Peugeot iOn nicht unrecht tun. Das Auto wird immer noch verkauft. Und zwischen Burgdorf und Genf warten am Strassenrand nicht weniger als 12 Chademo-Schnellladestationen. Die gleiche Reise wäre heute kein zweitägiges Abenteuer, sondern in drei Stunden erledigt.

Wer im Frühjahr 2019 einen Tesla Model 3 kauft, spürt das RIP-Problem fast nicht mehr. Reichweitenangst braucht man keine zu haben, mit vollem Akku zeigt das Display eine Reichweite von 490 Kilometern. (Bei schnell gefahrenen Autobahnetappen in Deutschland schmilzt sie auf etwa 300.) Der Bordcomputer berechnet die Route zum nächsten Tesla-Supercharger; falls es eng werden könnte, mahnt er zu einer milden Temporeduktion, um das Navigationsziel zu erreichen. Ein auf einen Rest von 10 Prozent leergefahrener Tesla lässt sich in einer Viertelstunde wieder zu Hälfte füllen. Und das Netz der Ladestationen ist inzwischen europaweit so dicht, dass man selbst mit älteren Elektroautos, einem VW e-Golf oder BMW i3 aus dem Jahr 2014, die nur über 150 Kilometer echte Reichweite verfügen, problemlos unterwegs ist.

Bleibt das Thema Preis. Ein Tesla Model 3 kostet 48.200 Franken. Es gibt aber auch Elektroautos mit grosser Reichweite für weniger Geld, etwa den Hyundai Kona oder den Nissan Leaf. Der für Stadtfahrer und Kurzpendler gedachte Peugeot iOn kostet 22.500 Franken. Doch auch in diesem Segment gibt es noch günstigere Autos. Etwa den Microlino, eine Schweizer Entwicklung, die ab Sommer 2019 in Deutschland gefertigt werden soll. Das Wägelchen sieht aus wie eine auferstandene BMW Isetta – es gibt nur eine grosse Zugangstür an der Wagenfront. Dafür lässt sich der Microlino mit 2,44 m Länge quer auf einen Parkplatz stellen. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 90 km/h, die Reichweite bei 200 Kilometern. Das Basismodell mit 125 Kilometern Reichweite soll rund 13.500 Franken kosten. Bei all diesen Autos ist die Batterie eingeschlossen. Lediglich Renault bietet für seine Elektromodelle Zoe, Twizy und Kangoo Z.E. optional die Miete der Batterie an. Sie wird getauscht, wenn die Kapazität unter 75 Prozent gefallen ist. Für gekaufte Renault-Batterien gibt es dagegen eine Garantie über fünf Jahre und 100.000 Kilometer für eine Kapazität von mindestens 66 Prozent.

Schaut man sich die Autolandschaft des Frühjahrs 2019 an, ahnt man: Die Elektroautos sind angekommen, und sie werden das Strassenbild in den nächsten Jahren sichtbar verändern. Experten erwarten, dass um 2030 rund 40 Prozent aller neu eingelösten Fahrzeuge Elektroautos sein werden. Das würde sich massiv auf die Wirtschaft auswirken: 40 Prozent weniger Verbrennungsmotoren bedeutet, es müssen 40 Prozent weniger Automatikgetriebe hergestellt werden, 40 Prozent weniger Auspufftöpfe, Benzinpumpen, Abgasrückführventile, Anlasser, Lichtmaschinen, Kolben, Ölwannen und Ventildeckeldichtungen.

Autobranche vor der Schrumpfkur

Was ab 2030 nicht mehr ins Auto eingebaut wird, muss ab 2040 auch nicht mehr repariert werden. Eine weltweit gut eingespielte Branche steht vor einer drastischen Schrumpfkur, ganz sicher jedenfalls vor einem grundlegenden Umbau. Betroffen werden auch Schweizer Zulieferer sein. Solche, die Getriebe- und Motorteile herstellen, aber auch Spezialfirmen wie Autoneum in Winterthur, die Hitzeschilder für den Motorraum und den Auspufftrakt entwickeln und weltweit Kunden beliefern.

Ein kleineres Problem als der Umbau der Industrie ist nach Ansicht der meisten Experten die Energieversorgung. Das deutsche Bundesministerium für Umwelt weist in einer neuen Broschüre darauf hin, dass der zusätzliche Strombedarf der Elektroautos recht klein sei im Vergleich zum ohnehin bevorstehenden Umbau des Stromnetzes, das an die Einspeisung von Solar- und Windstrom angepasst werden muss. Würde man alle 45 Millionen Autos in Deutschland elektrifizieren, stiege der Strombedarf nur um einen Sechstel. Schon heute werde die doppelte Menge Elektrizität aus erneuerbaren Quellen gewonnen, Tendenz steigend.

Ähnlich sieht es in der Schweiz aus. Elektroautos werden bevorzugt zu Hause oder am Arbeitsplatz geladen. Vormittags kurz vor 9:00 Uhr stehen alle Autos vor dem Büro, abends ab 18:00 Uhr sind die meisten daheim. Das erzeugt zwei Berge im täglichen Strombedarf, die es zu bewältigen gilt – besonders an dunklen Winterabenden, wenn keine Sonne scheint und keine Windturbine sich dreht. Ist der Strom einmal im Netz bereitgestellt, ist die Verteilung kein Problem mehr. Die Zahl der Schnellladestationen steigt in diesem Sommer rasant – sie werden auf Autobahnparkplätzen, vor Restaurants, Hotels, Einkaufszentren gebaut und sind ein gutes Geschäft: Die Betreiber kaufen den Strom zum Grossverbrauchertarif und verkaufen ihn an den Ladestationen mit bis zu 100 Prozent Gewinn an die Autofahrer.

Die Debatte ist gleichwohl längst nicht zu Ende. Im April hatte Hans-Werner Sinn, der ehemalige Chef des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo), in einer Studie behauptet, dass ein Elektroauto bis zu 28 Prozent mehr CO2 ausstosse als ein Diesel. Doch dem Wirtschaftsforscher waren Rechenfehler unterlaufen. Unter anderem hatte er den Antriebsakku auf den Herstellungsaufwand eines Dieselautos draufgerechnet, jedoch Motor, Getriebe, Katalysator und Partikelfilter nicht aus der Rechnung abgezogen. Nur der vom Dieselskandal geschüttelte VW-Konzern bestätigte die Rechnung des ifo öffentlich.

Das deutsche Umweltministerium kommt dagegen zum Schluss, dass das Elektroauto schon heute punkto CO2-Emission um 16 Prozent besser abschneide als ein Diesel, und dies beim deutschen Strommix mit einem hohen Anteil an Braunkohle. Bis 2025 werde sich dieser Vorsprung verdoppeln. Denn die Batteriefüllung eines heute gekauften Elektroautos wird von Jahr zu Jahr sauberer, weil es die Energiewende mitmacht und künftig einen höheren Anteil Ökostrom tanken kann. Benzin- und Dieselautos hingegen sind während ihrer ganzen Lebenszeit auf importierte, fossile Brennstoffe angewiesen; sie zementieren den heutigen Energiemix.

Der ideologische Graben der Debatte zieht sich auch durch Nachbarschaften – nicht zuletzt durch meine eigene. Mein Nachbar, der Batterien aus Elektroautos als Sondermüll bezeichnet, hat nicht ganz unrecht: Eine Recyclingindustrie, die mit den grossen Mengen an Akkus umgehen kann, die bald zu erwarten sind, existiert bis heute noch nicht. Erst wenn diese Industrie aufgebaut ist, werden Lithium, Kobalt und Kupfer, Graphit, und Neodym – all die wertvollen Stoffe, die in Elektroautos stecken – wirklich so recyclingfähig, wie sie sein sollten.

In meiner über dreissigjährigen Karriere als Automobilbesitzer gehörten mir fünfzehn Benzin- und Dieselautos. Der Elektromobilität stand ich mit skeptischem Wohlwollen gegenüber. Seit Anfang März teile ich mir mit einem Freund einen Tesla Model 3. Jeden Monat legen wir 4.000 Kilometer zurück. Und diesen Sommer reise ich damit ans Mittelmeer.

Von Rainer Klose

Quelle: NZZ Folio


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