Von Rosenthal im Landkreis Waldeck-Frankenberg nach Genua in Italien reisen, von dort aus mit der nach Tanger in Marokko übersetzen: Diese Route lässt an eine Campingtour denken. Doch sie ist auch mit einem Twike als Wegbegleiter möglich. Martin Möscheid hat es vorgemacht. Es klingt nach einer ungewöhnlichen Reise: Denn ein Twike ist eine futuristische Erscheinung mit drei Rädern, Platz für zwei Personen und das erste und einzige Fahrzeug, das einen Elektromotor mit Pedalantrieb kombiniert.
Möscheid ist geschäftsführenden Gesellschafter der TWIKE GmbH in Rosenthal, die seit zwanzig Jahren als deutscher Produzent hinter Twike steht. Er und sein Geschäftspartner Bernd Werner betrachten es „als ihren Beitrag für eine bessere Welt.“ Das Fahrzeug fahre je nach Akku-Paket mit einer Ladung bis zu über sechshundert Kilometer weit – ein Reichweitenrekord über 613 Kilometer auf der Strecke Rosenthal-Putbus in 2015 belegt das – und verbrauche umgerechnet 0,5 Liter Benzin.
Pedalantrieb unterstützt den Motor
Das Twike 3 wurde seit 1995 über tausend Mal verkauft, in Deutschland, in der Schweiz und in den Beneluxstaaten. Eines ist in Norwegen zu finden, ein anderes im marokkanischen Agadir: „Deutsche, die sie erworben haben, haben sie dorthin mitgenommen“, erzählt Möscheid, der mit Begeisterung von den vielen Vorzügen des Stromers erzählt – etwa vom Pedalantrieb, der den Motor unterstützen kann.
Die Muskelkraft wird direkt in Bewegungsenergie umgesetzt, was die Effizienz und Reichweite des Fahrzeugs steigert. Das Prinzip der Kopplung von Pedalantrieb und Elektromotor sowie das Handling seien einfach: Beide Antriebe gingen direkt auf die Antriebswellen, der Pedalantrieb über eine Kette, der Motor über das Getriebe. Die Geschwindigkeit lass sich mittels Tempomat regeln.
Wie ein Trainingsgerät
Ein anderer Vorteil: Durch das Pedalieren während der Fahrt wird das Fahrzeug zum Trainingsgerät. Wie viel Muskelkraft der Fahrer einsetze bleibe jedem selbst überlassen, sagt Möscheid. Auf die Frage, wie oft er selbst in die Pedale trete, antwortet er schmunzelnd, dass er in dem Punkt eher bequem sei.
Die Leistung ist dabei für mehr gut als nur für den Stadtverkehr. Das Fahrzeug ist auch auf der Landstraße flott unterwegs und für kurze Autobahnstrecken geeignet. „Manche pendeln damit täglich zur Arbeit“, sagt Möscheid, der es zum Einkaufen nutzt: „Vier Getränkekisten passen problemlos hinein.“ Und die Ladezeit? Beim aktuellen Modell für einen Kilometer Fahrt etwa eine Minute an der Haushaltsteckdose.
1986 für die Expo entwickelt
Energiewende und Elektromobilität sind heute in aller Munde – mit dem Twike hat das Rosenthaler Unternehmen bereits 1998 als deutscher Generalimporteur und seit 2002 als Produzent Fakten geschaffen. 1968 entwickelten Schweizer Studenten das Ur-Twike für die Weltausstellung im kanadischen Vancouver: ein zweisitziges Fahrrad mit Karosserie, fünfzig Kilogramm schwer und mit Pedalantrieb. Das Twike 2 erhielt dann ab 1991 einen starken elektrischen Hilfsantrieb für mehr Alltagstauglichkeit.
Vier Jahre später war das Elektrofahrzeug Twike 3 serienreif, die Akkuleistung seitdem stetig weiterentwickelt. Damals stiegen Möscheids Bruder Wolfgang, der Twike-Kunde war, und später er selbst in das Projekt ein. Die Prämisse in Rosenthal lautet seitdem: „Wir wollen Menschen glücklich machen“, sagt Möscheid, der Kfz-Mechaniker und Maschinenbauingenieur ist.
Das neue Modell kommt 2023
„In unserer Montagehalle wurde bislang jede Woche ein Twike 3 fertiggestellt“, berichtet er. Die Produktion des Modells pausiert zurzeit. Im kommenden Jahr soll das Twike 5 auf den Markt kommen. Sein Vorgänger Nummer 4 wurde nur als Prototyp für die Teilnahme am Progressive Automotive X Prize im Jahr 2010 gebaut – unter anderem in Kooperation mit dem Fachgebiet Leichtbaukonstruktion der Universität Kassel – und belegte bei dem internationalen Wettbewerb dritten Platz.
„So gut das Twike 4 auch ist, wussten wir von Anfang an, dass es nur ein Prototyp sein würde“, erläutert Möscheid. „Das Twike 5 sollte noch besser werden und in Serie gehen.“ Nach gut acht Jahren Entwicklungsarbeit – Partner aus der Automobilindustrie waren im Boot -, ist das Fahrzeug bereit für seine Kunden: leichter, leistungsfähiger, komfortabler, alltagstauglicher.
Bis zu 130hm/h schnell
Möscheid verweist als Beispiele auf eine bessere Aerodynamik, ein Plus an Ergonomie, schnellere Ladezeit und eine wertige Ausstattung gegenüber Modell Nummer 3. Schon die kleinste Batteriegrößere soll eine Geschwindigkeit von etwa 130 Stundenkilometern statt bisher 85 und eine Reichweite größer als 250 Kilometer ermöglichen. Der Clou: Bei gleichem Fahrprofil ist der Energieverbrauch sogar geringer als beim Vormodell.
Für das neue Modell stellt das Unternehmen die Fertigung um, die Manufaktur wurde bereits erweitert. „Dann sollen jede Woche fünf Twike 5 die Manufaktur durchlaufen“, sagt Möscheid. Daran beteiligt sind nur wenige Spezialisten, das Unternehmen hat zehn Mitarbeiter, darunter Maschinenbauer und Aerodynamiker. Die Stückzahl wird auf 500 limitiert sein: für eine bessere Planbarkeit und als Anreiz für Kunden.
Benzinpreise fördern E-Mobilität
Möscheid glaubt, dass die E-Mobilität einen Schub mit Blick auf die steigenden Benzinpreise bekommen wird. Einen Markt der Zukunft sieht er möglicherweise in den USA. Bereits in den 90er-Jahren seien zwanzig Stück dorthin verkauft worden. Doch eine Expansion will gut durchdacht sein, etwa mit Blick auf die Produkthaftung oder den Service. Partner dafür gibt es derzeit nur im deutschsprachigen Raum.
Das Twike ist schon lange international bekannt. Zum Renommee beigetragen haben zahlreiche Wettbewerb wie 1998 die Nordkap-Challenge, die über 10.000 Kilometer von Bern ans Nordkap und wieder zurück führte. Das belohnte das Guinness-Buch der Rekorde im Jahr 2000 mit einem Eintrag für die längste mit E-Mobilen zurückgelegte Strecke und die Energieeffizienz.
Quelle: Wirtschaft Nordhessen 06/2022
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